Birgit Tieber | Psychotherapeutin
Der Stellenwert, der den Angehörigen und ihrem Schicksal von unserer Gesellschaft beigemessen wird, ist treffend in folgendem Textauszug von Märta Tikkanen beschrieben: „Der Psychiater blätterte bekümmert In den Adressen der Unfehlbaren. Hier habe ich zwei, sagte er, die ganz hervorragend sein sollen. Die besten, sagte er, heben wir und vorsichtshalber für ihren Mann auf falls er mal Hilfe haben möchte Aber hier, sagte er freundlich, ist die Adresse des Nächstbesten für Sie und ihre Kinder“ Aus dem Roman „Die Liebesgeschichte des Jahrhunderts“ von Märta Tikkanen. Über das Leben mit einem Alkoholiker Mit dieser Herangehensweise fördert man etwas, was in Familien mit Suchtkranken so und so schon passiert ist. Man konzentriert sich ganz auf den Suchtkranken und auf das einzige Ziel- das dieser aufhören möge Alkohol zu trinken oder Drogen zu nehmen. Die Angehörigen, vor allem Partner und Kinder kommen dabei zu kurz. Sehr oft dreht sich alles nur noch um die Sucht, auch darum das Problem bestmöglich zu vertuschen und unbedingt geheim zu halten! Das ist harte Arbeit und Angehörige sind hier sehr gefordert, und letztendlich – überfordert. SUCHT, VOR ALLEM ALKOHOLSUCHT IST EINE „FAMILIENKRANKHEIT“. In den USA wird die Alkoholkrankheit und Drogenabhängigkeit daher auch sehr treffend als „family affair“ bezeichnet. In unserer Gesellschaft ist man da meist weniger „tolerant“ und es überwiegt eine etwas andere Sichtweise. Entweder ist der Suchtkranke „der Arme“ dem geholfen werden muss und seine Angehörigen müssen nur lernen wie sie sich richtig verhalten und mit dem Suchtkranken umgehen. Oder der Suchtkranke ist stigmatisiert, der „Schwache“ der wegen großer Probleme angefangen hat zu trinken und jetzt nicht mehr aufhören kann; er muss sich ja eigentlich nur „zusammen reißen“. Hier wird Sucht oft als „Charakter- und Willensschwäche gesehen. Oder, im schlimmsten Fall, wird der Familie die „Schuld“ für die Sucht in die Schuhe geschoben. Viele Angehörige von Suchtpatienten fühlen sich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Sucht mitverantwortlich. Nicht selten wird Ihnen das vom Suchterkrankten auch so gesagt. Begeben sie sich in Therapie, befürchten sie vermehrt Vorwürfe, sowohl vom betroffenen Familienmitglied als auch vom Therapeuten. Was bedeutet SUCHT für die Familie? 13 P s y c h o t h e r a p e u t i n B i r g i t T i e b e r
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